Der Wickrather Männergesangverein nach 100 Jahren in 1961

Versuch einer Zeitgeschichte

zum 100-jährigen Gründungstag des Wickrather Männergesangvereins

Wir schreiben den 14. Oktober 1961, einen Tag im Zeichen politischer Hochspannungen in Deutschland und darüber hinaus an allen Ecken und Enden der Welt. Tiefgreifende Veränderungen scheinen auf uns zuzukommen und viele Menschen denken mit großer Sorge an die nahe und ferne Zukunft. Trotz der beklemmenden Atmosphäre geht unser Leben den gewohnten Gang. Handel und Wandel stehen bei uns in voller Blüte. Bedeutende Fortschritte in allen Lebensbereichen lassen für fast jeden das Dasein lebenswert erscheinen. Unser altes, schönes Wickrath, im letzten Kriege durch Bomben stark zerstört, ist zum großen Teil wieder aufgebaut. Große neue Wohnsiedlungen an der Peripherie haben unser Ortsbild wesentlich erweitert. Der stetig anwachsende Verkehr, meist vom Auto bestimmt, macht unseren Behörden manches Kopfzerbrechen. Rundfunk und Fernsehen sind bis in den familiären Bereich eingedrungen. Die Stars der Massen-Medien scheinen die Idole und nachahmenswerten Vorbilder unserer Jugend. Kurzum, ein schillerndes, vielfältiges Lebensbild bietet sich ringsum.

Im kulturellen Bereich verzeichnen wir an diesem Tage den hundertjährigen Gründungstag des Wickrather Männergesangvereins von 1861, der festlich begangen wird.

Aus alten Urkunden, die uns noch erhalten sind, ist zu lesen, daß der Verein am 10. November 1861 von Mitgliedern des Wickrather Turnvereins gegründet worden ist. Das Gründungsprotokoll ist der Reihenfolge nach von den Herren Engels, Quack, Menningen, Paulussen, Fervers, Schnitzler, Cohnen, Johnen, Ringelberg, Schale, Kamper, Hansen, Kremer, Rose, Büsgens, Sackermann, Spier, Esser, Franken, Ott, Wagner, Denhard, Zillessen, Kames, Steffen, Simons, Klassen, Schaefer, Schmidt, Pelzer, Göres und Imhoff durch Unterschrift besiegelt. Als den musikalischen Leiter nennt das Protokoll Herrn Lehrer Zilles aus Wickrathhahn.

Schon am 26. Januar 1862 beschließt der Verein ein Konzert unter Mitwirkung der „Gladbacher Capelle" durchzuführen. Eine Mitteilung über den Verlauf der Veranstaltung und ob s i e überhaupt stattgefunden hat geht aus den Mitteilungen nicht hervor. Sehr gewissenhaft jedoch berichtet das Protokoll vom 17. Januar 1862, daß Bürgermeister Nagele die mit Schreiben vom 10. desselben Monats angetragene Ehrenmitgliedschaft angenommen habe.

Am 26. April 1862 beschließt die General-Versammlung für den Dirigenten ein Honorar von 20 Talern und für die Benutzung des Klaviers 10 Taler pro Jahr auszugeben. Ferner wurde am 16. August 1862 die Anschaffung einer Violine zum Preise von 5 Talern einstimmig genehmigt. Als Mäzen des Vereins scheint Herr Gerhard Engels gewirkt zu haben, der, wie aus den Urkunden hervorgeht, am 6. November 1862 ein Abkommen schloß, wonach er dem Verein ein Harmonium zum jährlichen Mietpreis von 10 Talern überlassen hat. Damit wurde von dem bisher üblichen Brauch abgegangen, daß der jeweilige Dirigent das Übungsinstrument selber zu stellen hat. Am 7. Dezember 1862 wurde das erste Stiftungsfest festlich begangen. Zur Deckung der Unkosten für Musik usw. wurde von den Besuchern ein Tanzgeld erhoben. Neben den wöchentlichen Übungsabenden, so beschließt am 24. Januar 1863 der Verein, sollen monatliche Unterhaltungen verbunden mit „Theatralischen Vorstellungen" im Lokale Broisch abgehalten werden. Dieser Beschluß führt zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen den Sängern und dem derzeitigen Vereinswirten, Herrn Denhard, der auf Grund des Lokalwechsels seinerseits ein Kündigungsschreiben dem Verein unterbreitet. Offenbar ist es am 26. Februar 1863 zu einer Aussprache zwischen beiden Parteien gekommen und der Streit geschlichtet worden. Eine Eintragung vom gleichen Tage besagt nämlich, daß in Zukunft die Lokale Denhard, Broisch und Faßbender in wechselnder Reihenfolge würden benutzt werden.

Der Verein ist inzwischen auf 36 Mitglieder angewachsen und aus der umfangreichen niedergeschriebenen Veranstaltungsfolge geht hervor, daß reges Leben die ganze Sängerschar erfüllte. Als wichtige Daten sind am 30. Mai 1863 der Beitritt zum Rheinischen Sängerbund erwähnt und einen Monat später wird festgelegt, daß künftig auch passive Mitglieder dem Verein angehören dürfen. Am 10. Oktober 1863 tritt Herr Könemann die Nachfolge des bisherigen Dirigenten Herrn Lehrer Zilles an. Aus welchen Gründen dieser Wechsel vorgenommen wurde, ist den Urkunden nicht zu entnehmen. Für das Jahr 1864 wird ein neuer Vorstand gewählt, dem die Herren Gr. Engels, Fritz Simons, Albert Büsgen, Engelbert Fervers und Karl Zillessen angehören. Gleichzeitig wird die Bildung eines „Vergnügungs-Comites" beschlossen und dessen Funktionen und Befugnisse in allen Einzelheiten festgelegt. Im Laufe der „Sommer-Saison" des gleichen Jahres wurde ein Konzert mit Ball und im Monat November das Stiftungsfest, wie alljährlich, veranstaltet.

Am 14. Mai 1864 beschloß man, eine Fahne zum Preise von 150 Talern anzuschaffen, wozu, wie es in der Niederschrift heißt, Herr Graf Quadt-Wickrath-lssny, 50 Taler beisteuerte. Weitere 60 Taler wurden durch freiwillige Beiträge aufgebracht, der Rest sollte durch ein Darlehen gedeckt werden. Eine weitere Schenkung des Grafen Quadt-Wickrath-lssny über 100 Taler geht den Sängern durch die Vermittlung des Herrn Gustav Ott am 11. Juni 1864 zu. Große Aufregung, wie es wörtlich heißt, verursacht am 13. Januar 1865 der Wechsel des Vereinslokals von Denhard nach Broisch. Der Zwist scheint aber keine tiefgreifenden Folgen gehabt zu haben, da alle nachfolgenden Eintragungen den Vorfall nicht mehr besonders erwähnen.

In den nun folgenden Jahren sind besondere Ereignisse in der Vereinsgeschichte nicht verzeichnet. Außer den wöchentlichen Übungsabenden werden alljährlich im frühen Sommer ein Konzert und im Winter das Stiftungsfest regelmäßig abgehalten, bis der Krieg von 1870/71 das Vereinsleben zum Erliegen brachte. Am 18. März 1871 wird durch eine Generalversammlung die Tätigkeit wieder aufgenommen und durch einstimmigen Beschluß die Herren Gerh. Engels, Carl Jansen, Carl Zillessen, Joh. Ringelberg, Egm. Menningen und Gottfried Kames in den Vorstand berufen. Herr Gerhard Engels, der 10 Jahre lang den Vorsitz führte, legt sein Amt am 28. Dezember 1871 nieder.

Als Nachfolger wird Carl Jansen zum Präsidenten gewählt. In dieser Zeit hat es scheinbar manche Krisen gegeben, denn immer wieder ist nachzulesen, daß die Übungsabende schlecht besucht waren, Versammlungen ausfallen mußten und die Unterbrechungen des Vereinslebens für ein halbes Jahr vorgenommen wurden.

Am 3. März 1881 wird dem Dirigenten Könemann, der sein Amt niedergelegt hatte, 50 Mark als rückständiges Gehalt ausgezahlt. Gleichzeitig wird Hermann Hoffmann zum Dirigenten bestellt. Das 20. Stiftungsfest am 30. Juli 1882 scheint ein besonderer Höhepunkt im Vereinsleben gewesen zu sein. Der Chronist schreibt dazu:

„Unter Teilnahme der eingeladenen Vereine Concordia Lövenich, Cäcilia Neuenhoven, Concordia Wanlo, Eintracht Wickrathberg, Quartettverein Wickrath, Liederkranz Wanlo und dem Wickrather Musikverein feiert der Männergesangverein bei schöner Witterung sein 20. Stiftungsfest im Vereinslokal bei Herrn Nick. Broisch. Nach Empfangnahme der auswärtigen und hiesigen Vereine am Bahnhofe setzt sich nachmittags gegen 4 Uhr der prachtvolle Festzug unter den Klängen zweier Musikchöre in Bewegung, die auf das herrlichste mit Fahnen, Triumphbogen und Girlanden geschmückte Straße. Auch wurden manchem Sänger von schöner Hand niedliche Blumensträuße zugeworfen. Es wurde wacker gesungen, weshalb die Zuhörer auch manches Bravo erschallen ließen."

Der erfolgreiche Verlauf des Festes gab auch für die folgenden Jahre dem Verein neue Impulse. Nun wird von eifriger Probenarbeit berichtet und zahlreiche Sängerfahrten nach Linnich, Garzweiler, Erkelenz, Rheydt, wo man sich jeweils an einem Konzert beteiligte, durchgeführt. Von der Fahrt nach Linnich sei der Originalität wegen, der Chronist wörtlich zitiert:

„Die Festlichkeit wurde in einer prachtvollen Wiese abgehalten. Als unser Verein seine Nummer kräftig vorgetragen hatte, hielt unser Herr Vorsitzender Carl Jansen eine von den Festteilnehmern mit großem Applaus aufgenommene Rede."

Am 17. Januar 1883 taucht zum ersten Male der Name Abels auf, der wie es heißt, das vom Verein benutzte Übungslokal Broisch, aufgekauft hat. Seit dieser Zeit ist die Familie Abels dem Wickrather Männergesangverein bis auf den heutigen Tag verbunden geblieben.

Neuer Vorsitzender wurde am 12. Dezember 1884 Carl Bungard, gleichzeitig wurde das Vereinslokal nach Sänger verlegt, der erklärte, sein Lokal unter denselben Bedingungen herzugeben, wie sein Vorgänger Conrad Abels. Diese mündlich abgegebene Erklärung wird am 12. Januar 1885 durch einen schriftlichen Vertrag ergänzt. Diese Abmachung hatte aber keinen langen Bestand, denn schon am 1. Juni 1885 ist ein neuer Vertrag mit dem Wirten Aug. Essers geschlossen worden. Als neuen Höhepunkt im Vereinsleben verzeichnet am 4. Juli 1886 der Chronist das 25. Stiftungsfest.

„Das Fest wurde am Vorabend mit einem Zapfenstreich und Böllerschüssen eingeleitet. Zum Festzug haben sich 7 Vereine eingefunden, der vom Bahnhof, über den Markt, Beckrather Straße bis in die Schloßalleen zog, wo Bürgermeister Kloeters von einer eigens zu dem Fest erbauten Tribüne die Vereine im Namen der Sängerschaft herzlich willkommen hieß. Er ermahnte die Sänger, in dem Gesang stets das Gute zu suchen und zu finden und mit einem Hoch auf unseren allergnädigsten Kaiser welches vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurde und wurden hierauf in den Alleen von sämtlichen Vereinen das Chorlied „Die Ehre Gottes in der Natur" von Beethoven vorgetragen." Anschließend wurde im Saale Denhard ein Gemeinschaftssingen durchgeführt. Dazu heißt es:

„Lautlose Stille herrschte während den Gesangvorträgen im Saale, ein Beweis, das unter den Zuhörern großes Interesse für den Gesang war.

Zum Festball, welcher gegen 9 Uhr abends begann finden sich viele auswärtige Sänger in unserem Festlokal zusammen. Die Polonaise wurde von über 200 Paaren unter Musikbegleitung beider Capellen über den mit bengalischem Feuer und Lampignons beleuchteten Markt gehalten."

Ein besonderes Ereignis scheint die Annahme der angetragenen Ehrenmitgliedschaft durch den damaligen Bürgermeister Kloeters, am 30. Januar 1887, gewesen zu sein. Aufwendig und ausführlich hat der Chronist diesen Tag festgehalten und schrieb:

„Nachdem der Verein in der Übungsstunde vom 19. Januar unseren Herrn Bürgermeister einstimmig als Ehrenmitglied ernannte, wurden wir heute mit der Annahme dieses Herrn bekanntgemacht und verdient das Anerkennungsschreiben welches Er dem Vereine spendete für kommende Tage aufbewahrt zu werden. Nachstehende Copie, genau dem Original nachgeschrieben, hat folgenden Wortlaut:

Wickrath, den 30. 1. 87

An von Schriftführer des Männergesangvereins

Herrn Ferdinand Thönnissen

Wohlgeboren

Hier

Mit der Benachrichtigung über den Generalversammlungsbeschluß Ihres Vereins - nach welchem ich zum Ehrenmitgliede desselben einstimmig gewählt worden bin, haben Sie mich angenehm überrascht. Ich weiß die Ehre und das Vertrauen, welches Ihr Verein mir damit zuträgt, sehr wohl zu schätzen und fühle mich glücklich von Männern, die ich als den Kern der Bürgerschaft betrachte, mit soviel Vertrauen beschenkt worden zu sein. Ich bitte, indem ich die Mitgliedschaft freudigst annehme, Ihrem Vorstande und dem Vereine selbst meinen verbindlichsten Dank für die mir bereitete Freude gefälligst zur Kenntnis zu bringen

Hochachtungsvoll vorgebracht

Kloeters, Bürgermeister."

Mit zahlreichen Veranstaltungen bekundet in der Folgezeit der Verein reges Leben. Erwähnt seien hier die Teilnahme am Sängerfest in Garzweiler. Das Jahresfest der Vereine der hiesigen Gemeinde. Ein Wohltätigkeits-Konzert für den Neubau der Kapelle in Wickrathhahn am 17. 7. 1887. Wie heute, so scheint auch damals das Vereinsleben nicht immer ohne interne Schwierigkeiten geblieben zu sein. Berichtet wird in diesem Zusammenhang von Beleidigungen eines Mitgliedes dem Vorstand gegenüber. Auf einer, zur Behandlung dieses Falles anberaumten Sitzung kam es zu heftigen Kontroversen, die damit endeten, daß der gesamte Vorstand zurücktritt.

In einer am 3. August 1887 abgehaltenen Generalversammlung wird Carl Jansen neuer Präsident des Vereins.

Damit war zunächst für den Bestand des Vereins das Schlimmste abgewendet, doch ist aus der Niederschrift deutlich zu spüren, daß die entstandene Krise nicht ganz überwunden ist. Auffällig ist die Zahl der Austritte und die recht spärlichen Notizen über stattgefundene Veranstaltungen, Feste, Versammlungen usw.

Wie aus dem Protokoll vom 3. Juli 1889 hervorgeht, bangt man um den Bestand des Vereins. In der Generalversammlung vom 17. Dezember 1890 wird Jakob Steinwasser 1. Vorsitzender und die Wirtschaft Sänger wird Vereinslokal. Aber auch die Umbesetzung des Vorstandes kann die innere Krise nicht aufhalten. Am 27. Januar scheint es, daß der Verein zu bestehen aufgehört hat. Seit diesem Tage jedenfalls sind nachweisbare Spuren zum Vereinsleben des Wickrather Männergesangvereins nicht mehr zu entdecken. Es muß aber doch noch nach wie vor Bindungen und Bemühungen zum Weiterbestand des Vereins gegeben haben, denn mit einer Eintragung vom Oktober 1896 wird von der Vorbereitung zu einer Generalversammlung gesprochen und ferner mitgeteilt, daß dem Verein inzwischen 50 aktive und passive Mitglieder beigetreten sind. Die Vielzahl der im Jahre 1897 vorgenommenen Eintragungen in das Protokollbuch, bezeugen, daß es gelungen ist dem Verein neues Leben einzuhauchen. Ferd. Thönnissen wird durch Beschluß am 13. Januar 1898 Vorsitzender und die in ununterbrochener Folge notierten Eintragungen zeigen, daß es weiterhin aufwärts geht.

Das aufkommende 19. Jahrhundert, von unserer geschichtlichen Betrachtung her sicherlich ein bedeutendes Ereignis, findet interessanterweise in den Aufzeichnungen unserer Väter keine Beachtung. Ohne Hinweis auf neunzehnhundert Jahre Menschheitsgeschichte werden lediglich die Vereinsnachrichten weitergeführt. Auffallend ist dennoch die Schreibweise der Jahreszahl 1900, in großen ausdrucksvollen Lettern, so daß man annehmen kann, daß unsere Vorfahren dieses Datum besonders gewürdigt haben.

So stürmisch das Wiederaufblühen des Vereins seit 1897 vonstatten ging, ebenso schnell aber scheint es wieder verlöscht zu sein. Eine Vielzahl von Umbesetzungen innerhalb des Vorstandes in kurzen Zeitabständen, und die Verlegung des Vereinslokals nach Hochstrate, geben davon Zeugnis. Am 22. Juli 1903 wird vom Vorstand beschlossen vorläufig keinen Dirigenten zu wählen und beauftragt den Vereinswirten Hochstrate die musikalische Leitung zu übernehmen. Vom September 1903 bis zum 16. Februar 1905 war, wie es heißt, die Vereinstätigkeit unterbrochen. Eine an diesen Tagen, von früheren Mitgliedern einberufene Generalversammlung wählt H. Wingerath zum Vorsitzenden und Herrn Lehrer W. Arrenbrecht aus Mönchengladbach zum Dirigenten. Aber auch dieser neue Anlauf das Vereinsschiff in Fahrt zu bringen hat wenig Erfolg. Wegen mangelhaften Besuches der Übungsstunden werden am 1. Februar 1906 die Proben auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Eine am 14. März 1906 anberaumte Versammlung beschließt zwar die Übungsstunden wieder aufzunehmen, doch lassen die nachfolgenden Eintragungen erkennen, daß es zu einer fruchtbaren Tätigkeit nicht gekommen ist. In einer resignierenden Mitteilung vom 24. Oktober 1906 wird vermerkt, daß die Mitgliederzahl auf 10 aktive Sänger abgesunken ist. Aus einer ausführlichen Erklärung vom 8. Februar 1907 geht schließlich hervor, daß die Vereinstätigkeit erneut unterbrochen werden muß. Durch ein Rundschreiben an alle früheren aktiven und passiven Mitglieder des Wickrather Männergesangvereins gelingt es am 15. Oktober 1908, das Vereinsleben neu zu aktivieren. Zum Vorsitzenden wird Herr Carl Bungard gewählt. In einer zweiten Sitzung vom 22. Dezember 1908 einigt man sich darauf, Herrn Ernst Commanns aus Mönchengladbach zum Chorleiter zu bestellen, da die Forderungen des Herrn Lehrer Trippel aus Wickrathhahn, dem zunächst die musikalische Leitung angetragen war, der Verein nicht erfüllen konnte. Ferner wird beschlossen, dem neu gewonnenen Dirigenten ein jährliches „Salair" von 150 Mark zu bewilligen. Als Vereinslokal wird das Restaurant Klersy, welches bereits seit dem 14. März 1906 als Übungsstätte diente, wiedergewählt. Damit scheint die Krise endgültig überwunden. Die Reihe der Veranstaltungen, die im Laufe der nächsten Jahre abgehalten werden, machen die stürmische Aufwärtsentwicklung deutlich. Immer mehr aktive Mitglieder werden aufgenommen und es ist nicht zu übersehen, daß der Wickrather Männergesangverein sich zum kulturellen und gesellschaftlichen Mittelpunkt herausgeputzt hat.

Das 50-jährige Stiftungsfest wird am 8. 9. und 10. Juli 1911 festlich begangen. In überschwänglichen Worten hat der Chronist den Verlauf des Festes beschrieben und allenthalben ist zu spüren, daß der Verein eine Hochblüte erlebt. Am 28. Juni 1911 tritt der bisherige Vorsitzende Bungard aus persönlichen Gründen ab und Herr Eug. Menningen übernimmt die Nachfolge. Damit ist wohl die glücklichte Periode im Vereinsleben angebrochen. Selbst der Weltkrieg von 1914 bis 1918, der zwar eine Unterbrechung des Vereinslebens erzwang, konnte den Fortbestand und die stetige Weiterentwicklung nicht aufhalten. Die aus dem Kriege heimgekehrten Sänger erreichen durch eine Eingabe bei der französischen Ortskommandantur die Genehmigung, ab 2. März 1919, die Gesangproben wieder aufnehmen zu dürfen. Am 2. Juni 1919 übernimmt Josef Schiffer die musikalische Leitung. Schließlich gibt sich am 14. Juli 1919 der Verein einen neuen Vorstand wiederum mit Eug. Menningen an der Spitze. Bereits am 7. Sept. 1919 hat das erste Konzert stattgefunden wobei die Damen Martha und Luise Hoffmann, sowie die Herren Josef Drügpott und Anton Hillemacher als Solisten mitwirkten. Was schon die gesellschaftliche Entwicklung andeutete, findet auch seinen Niederschlag in der sich steigernden Qualität der Leistungen. Für das 60. Stiftungsfest hatte man neben dem Stadt. Orchester Mönchengladbach einen für die damalige Zeit bedeutsamen Gesangssolisten, Herrn Tillmann-Liszewsky, Star der Kölner Oper, verpflichtet.

Die hereinbrechende Inflation von 1924 war die Ursache, daß es neuerlich zu einer Krise kam. Die Gesangsproben wurden immer schlechter besucht und man stellte am 22. Januar 1925 resigniert fest, daß es so nicht weiter gehen könne. Da es den Anschein hatte, daß der derzeitige musikalische Leiter nicht immer die glücklichste Hand für seine Tätigkeit gefunden hatte, entschloß man sich am gleichen Tage, Herrn Commanns aus Mönchengladbach, das Dirigatzu übergeben. Offenbar wurde damit die Krise überwunden, denn der erfolgreiche Verlauf des 65. Stiftungsfestes wird mit Freude und Erleichterung registriert. Am 9. Februar 1927 wird das Restaurant der Familie Abels zum Vereinslokal erkoren. Dieses Datum sei darum besonders erwähnt, weil sich seit dieser Zeit ein Wechsel nicht mehr vollzogen hat und der Wickrather Männergesangverein heute noch dort in ununterbrochener Folge Herberge findet.

Die nun folgenden Jahre sind ausgefüllt mit eifriger Probenarbeit, zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen, an der fast die gesamte Bevölkerung Anteil nimmt. Das 70. und 75. Stiftungsfest werden in unserer kleinen Stadt zu allgemeinen Höhepunkten, an denen der inzwischen zum Chorleiter berufene Herr Leo Hilberath aus Erkelenz nicht unwesentlichen Anteil hat. Die zu stattlicher Zahl angewachsene Mitgliederschaft versucht immer wieder dem Vereinsleben neue Impulse zu geben, bis der zweite Weltkrieg alles, was in jahrzehntelanger, mühseliger Arbeit aufgebaut war mit Bomben und Granaten zerstörte. Die Geschichte des Vereins nach 1945 ist uns allen noch in so frischer Erinnerung, daß wir es unseren Nachfahren überlassen wollen die Chronik dieses Zeitabschnittes niederzuschreiben. Wir hoffen, daß für uns alle, die wir heute das Fest des 100. Gründungstages feiern, ein ebenso positives Urteil gefunden wird, wie für diejenigen, die vor uns für den Wickrather Männergesangverein gelebt und gewirkt haben.